Leseprobe – Held von Beruf von Adriaan Jaeggi
Wir sollten vor allem dankbar sein, dass unsere Vorfahren große Familien liebten, sonst wären wir längst ausgestorben. Nicht zu glauben, sie fallen um wie die Fliegen in dieser Familie. Letzte Woche noch ein Großneffe meines Vaters, bisher das ödeste Begräbnis des Jahres, und heute früh lagen wieder drei Trauerkarten zwischen der Post. Man erkennt sie schon aus einem Kilometer Entfernung. Leichengrau und mit schmalem, dunkelgrauem Rand, oder cremefarben mit schwarzem Band, und immer sind sie größer als die anderen Briefumschläge, als hätten sie Angst, übersehen zu werden.
Teddy fischt sie immer gleich raus. Als sie noch sehr klein war, hat sie jede Trauerkarte sofort zu meinem Vater ins Zimmer gebracht. Sie wusste, dass sie dann auf seinem Schoß sitzen durfte und er sie ganz fest hielt, während er die Karte las.
Heute fängt sie an zu toben, kaum dass sie wieder eine entdeckt. »Ich geh nicht hin, ich gehe nicht! Nein, nein, nein!«
Hätten wir nicht so lächerlich viele Verwandte, dann müssten wir nicht zu so vielen Begräbnissen. Mein Vater muss sowieso, es geht meistens um jemand aus seiner Verwandtschaft, aber er besteht drauf, dass wir auch mitkommen. Ich finde das nicht so schlimm, aber da bin ich der Einzige, Teddy und Nadine schreien das ganze Haus zusammen und Molly schließt sich wieder mal in ihr Zimmer ein. Nicht dass das etwas ändern würde. Wir gehen trotzdem.
Es ist alles nur Theater, das ganze Geschrei, denn sind wir erst mal da, dann macht es keinem mehr was aus und alle amüsieren sich blendend. Außerdem bekommt man einen ganzen Tag schulfrei.
Es käme gar nicht zu dem ganzen Streit, wenn sie sich nicht immer so anstellen würden. Ich höre sie unten reden. Nadine weinerlich, Teddy mit ihrem zuckersüßen Stimmchen und dazu das Gebrumm meines Vaters. Es ist immer dasselbe: Zuerst klingt seine Stimme ruhig und besänftigend, dann wütend, und am Ende brüllt er, sie könnten seinetwegen im Dreieck hüpfen, aber wir gingen in jedem Fall und morgen riefe er in der Schule an.
Ich gehe nicht nach unten. Ich weiß auch so, was gleich kommt: Jemand, wahrscheinlich Nadine, rennt plärrend die Treppe hoch und stürmt in ihr Zimmer. Rennt den Flur entlang und tritt dabei wütend gegen jede Tür. Dafür muss ich mein Zimmer nicht verlassen, das kann ich auch hier abwarten.
Es gibt Leute, die finden, man soll sich in solche Dinge einmischen, besonders wenn man halt derjenige ist, der alle wieder besänftigt bekommt, aber manchmal habe ich dazu einfach keine Lust. Immer muss ich den Kopf hinhalten, nur weil ich der Jüngste bin.