Kage Baker:  Die Schatten des Krieges

Ich kam in einem miserablen Winter an. Es  hatte unglaublich viel geregnet; noch nie hatten die Einheimischen soviel Regen gesehen. Die Canyons liefen über. Die neuen Abwasserkanäle unten im Pueblo waren völlig überlastet. Sämtliche Straßen waren unterspült, und die Postkutschen kamen spät oder überhaupt nicht. Da war, wie ich hörte, ein kleines Bergwerksstädtchen oben in den San Gabriel Mountains, das vollständig weggeschwemmt worden war – das ganze Ding war einfach in weit verstreuten und völlig durchnässten Teilchen unten in der Ebene gelandet. Nur die Rancheros waren glücklich, wegen des guten Weidelands, das der Regen liefern würde. Dachten sie. Sie hatten keine Ahnung, dass dies der letzte Regen sein würde, den sie auf Jahre hinaus zu Gesicht bekämen. Bevor es von neuem regnete, würden Senor Dürre und Senora Pocken sowie ein paar gerissene Yankee-Geldverleiher den Tagen der Gentes de Razon ein harsches Ende bereiten. Ach, Los Angeles! Ein Desaster nach dem anderen, das war wohl schon immer so.

Diese besonderen Desaster lagen aber immer noch einigermaßen in der Zukunft, an dem Tag, als ich endlich im Hauptquartier ankam. Ich war die Küste hinunter bis Buenaventura gegangen und dann ins Landesinnere eingebogen, um El Camino Real durch die Hügel und den Talboden entlang zu folgen, zumeist in der Nacht reisend, um die sterbliche Bevölkerung zu umgehen. Der Regen hatte den ganzen Weg über nicht nachgelassen, und ich war nass bis auf die Haut. Ich kreuzte unzählige Flüsse, angeschwollen von weißer Wut, die hinaus ins Meer tosten und Weidenstämme mit sich fort rissen. Ich sah sanfte grüne Abhänge, die so von Wasser durchtränkt waren, dass sich vielerorts Grasnarben gelöst hatten und heruntergerutscht waren, wie ein nur halb genommener Skalp oder ein Toupet, kahle Stellen hinterlassend, die der Regen noch mehr ausweitete.

So viel zu Sonny California. Alles, was ich davon sah an jenem dunklen Morgen war Wasser, braunes Wasser und schmieriger Schlamm, sowie schwarze Äste, die vorbeischaukelten in der Hoffnung, eines Tages an einen weißen Strand gespült zu werden. Sie können sich vorstellen, wie dankbar ich war, als ich eine Rauchfahne zwischen dem einen und dem anderen Gebirgsausläufer aufsteigen sah. Ich überprüfte meine Koordinaten. Cahuenga Pass HO? Ich machte einen vorsichtigen Sendeversuch.

Auf Empfang, erwiderte jemand.

Botanikerin Mendoza meldet sich zur Stelle.

Okay. Sehen Sie den Rauch? Folgen Sie ihm einfach.

Und kaum eine Minute später war ich um einen Felssturz herum gebogen, und da lag es schon vor mir, hinten im Schutz von ein paar Eichenbäumen, ein langes, niedriges Gebäude aus Lehmziegeln, das die Leute hierzulande Adobe nannten, mit einem binsengedeckten Stall dabei. Man hatte ein paar Kuhhäute zusammengeflickt und als Regenplane in den Bäumen aufgehängt, und unter diesem nicht sehr überzeugenden Schutz kauerte ein Unsterblicher, der gerade versuchte, ein Feuer zu entzünden mit etwas, das nach ziemlich feuchtem Holz aussah. Neben ihm auf dem Boden waren eine blaue Emailkaffeekanne und ein paar Tiegel arrangiert. Der Gedanke an gegrilltes Rindfleisch und Bohnen übte eine geradezu magnetische Anziehung auf mich aus.

» Hola.« Ich übersprang den letzten braunen Bach und bahnte mir einen Weg die Sandbank hinauf zu der Herberge.

»’Morgen.« Der Unsterbliche blickte von unter dem Rand seines tropfenden Huts zu mir auf. »Willkommen in der Feldküche Hollywood.«

»Es ist tatsächlich hier, wo Hollywood später sein wird, nicht wahr?«, fragte ich. Dann ließ ich meine Tasche fallen und streckte meine Hände hinunter, um sie über das winzige Feuer zu halten. »Komische Vorstellung.«

Mein Gewährsmann streckte einen Arm aus, um in die angegebenen Richtungen zu zeigen, wobei der Saum seines Umhangs durch jede Menge tote Blätter schleifte. »Das Chinesische Theater und Hollywood Bowl geradeaus da unten. Paramount Studios drüben in der Richtung. Wenn Sie achtzig Jahre lang hier herumhängen müssen, können wir in der Betriebskantine von Warner Brothers frühstücken gehen.«

»Ich werde mich mit dem begnügen, was Sie da haben.« Ich warfeinen neugierigen Blick auf die Tiegel: Überbleibsel von gestern Abend, kalt und geronnen. Ich sah mich nach etwas Trockenem um, um es ins Feuer zu werfen.

»Sie sind also Mendoza?«, erkundigte sich mein Gastgeber. Er war hager und dunkel, mit einem dünnen schwarzen Schnurrbart und einem traurigen Schurkengesicht voller scheußlicher Narben. Die Narben waren natürlich Applikations-Make-up, aber sie verliehen ihm dieses gewisse Aussehen, das Schnapsladenbesitzer dazu veranlasst, hinter ihre Theke wegzutauchen, um ihren Revolver hervorzuholen. Ich nickte als Antwort.

 

(Mit freundlicher Genehmigung durch Random House)